Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Beklagten war es nicht nur zuzumuten, sich substantiiert zu erklären, sie war sogar - wie das Berufungsgericht zutreffend festgestellt hat - nach § 810 BGB der Klägerin zur Auskunft über den Inhalt des Vertrages verpflichtet.

 

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Bundesgerichtshof
Urteil vom 28.04.1992
XI ZR 193/91


Tatbestand


Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Herausgabe eines Vollstreckungsbe-scheides des Amtsgerichts K. vom 10. September 1979 über 9.893,58 DM nebst Zin-sen und Kosten, den die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die K. KG (im Folgenden: K. KG) aufgrund eines Ratenkreditvertrages vom 11. Juli 1978 gegen die Klägerin und ihren damaligen Ehemann erwirkt hatte. Während die K. KG im Mahnverfahren 0,07 % Zinsen "p. Tag seit Fälligkeit gem. Vereinbarung" geltend gemacht hatte, hat sie den Zinssatz im Vollstreckungsbescheidantrag auf 0,058 % Zinsen pro Tag ermäßigt. Die Klägerin, die unstreitig inzwischen mehr als die Nettodarlehensvaluta zurückgezahlt hat, hält den Darlehensvertrag und die Vollstreckung für sittenwidrig. Sie hat unter Bezugnahme auf den Mahnbescheidantrag der K. KG behauptet, dass vertragliche Zinsen von 0,07 % pro Tag vereinbart worden seien, während der Schwerpunktzins seinerzeit bei 8 % pro Jahr gelegen habe. Der Inhalt des Ratenkreditvertrages ist im einzelnen unbekannt, da die Klägerin über keine Vertragsunterlagen mehr verfügt und die Beklagte der gerichtlichen Anordnung, das in ihrem Besitz befindliche Vertragsexemplar vorzulegen, nicht nachgekommen ist.


Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.


I.
Das Berufungsgericht hat u. a. ausgeführt: Es sei nicht zweifelhaft, dass der streitige Darlehensvertrag die erforderlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Klage auf Herausgabe des Vollstreckungsbescheides nach § 826 BGB erfülle, auch wenn in-soweit dem Vortrag der Klägerin Tatsachen nicht zu entnehmen seien. Dies folge aus der Weigerung der Beklagten, den Vertrag dem Gericht vorzulegen. Das Berufungs-gericht sei davon überzeugt, dass sich die Beklagte allein deshalb gegen die Vorlage sperre, um nicht Tatsachen offenbaren zu müssen, die der Klage zum Erfolg verhel-fen würden. Die Voraussetzungen für eine gerichtliche Anordnung der Urkundenvor-lage nach §§ 422 f. ZPO hätten vorgelegen, denn die Klägerin habe gemäß § 810 BGB, jedenfalls aber gemäß § 242 BGB die Vorlegung verlangen können.

II.
Die Begründung hält der revisionsrechtlichen Prüfung nicht in allen Punkten stand; das Ergebnis ist jedoch nicht zu beanstanden.
1. Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ein Schuldner gemäß § 826 BGB die Herausgabe eines Vollstreckungsbescheides, in dem Ansprüche aus einem Ratenkreditvertrag tituliert sind, verlangen kann, wenn der Titel materiell unrichtig ist, der Titelgläubiger die Unrichtigkeit kennt und besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer es dem Gläubiger zugemutet werden muss, die ihm unverdient zugefallene Rechtsposition aufzugeben (BGHZ 101, 380, 384 f.; Senatsurteil vom 23. April 1991 - XI ZR 122/90, WM 1991, 1180, 1181 m. w. Nachw.). Das verkennt auch die Revision nicht.


2. Das Berufungsgericht hat jedoch zu Unrecht die Voraussetzungen für einen Herausgabeanspruch nach § 826 BGB ohne weiteres allein deshalb bejaht, weil die Beklagte der Anordnung des Gerichts nach § 422 ZPO, den in ihrem Besitz befindli-chen Ratenkreditvertrag vorzulegen, nicht nachgekommen ist. Es hat dabei verkannt, dass bei Nichtvorlage lediglich die Behauptungen des Beweisführers über den Inhalt der Urkunde als bewiesen angesehen werden können (§ 427 Satz 2 ZPO). Der Zweck der prozessualen Vorlegungspflicht besteht darin, den Urkundenbeweis der vom Beweisführer behaupteten Tatsachen zu ermöglichen (vgl. Stein/Jonas/ Leipold, ZPO 20. Aufl. § 422 Rdn. 5). Fehlt es an solchen Behauptungen, dann ist für die An-wendung des § 427 ZPO kein Raum. Das Berufungsgericht durfte deshalb, wenn es hinreichenden Tatsachenvortrag der Klägerin vermisste, allein aus der Weigerung der Beklagten, den Ratenkreditvertrag vorzulegen, keine für diese nachteiligen Schlüsse ziehen und nicht aufgrund der bloßen Vermutung, dass die Urkunde die Sittenwidrig-keit offenbaren werde, der Klage stattgeben.


3. Das Berufungsurteil erweist sich aber aus einem anderen Grunde als richtig (§ 565 Abs. 3 ZPO). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat die Klägerin nämlich - wie sie mit der Revisionserwiderung zu Recht geltend macht - die anspruchsbegrün-denden Tatsachen vorgetragen. Dieses Vorbringen hat das Berufungsgericht zu Un-recht nicht ausreichend berücksichtigt. Da die Beklagte nicht substantiiert widerspro-chen hat, gelten die von der Klägerin behaupteten Tatsachen als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO).


a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist eine Durchbre-chung der Rechtskraft eines Vollstreckungsbescheides nach § 826 BGB ausnahms-weise gerechtfertigt, wenn der Gläubiger einen Vollstreckungsbescheid über den An-spruch aus einem sittenwidrigen Ratenkreditvertrag erwirkt hat, obwohl er erkennen konnte, dass bei einer Geltendmachung im Klageverfahren bereits die gerichtliche Schlüssigkeitsprüfung nach § 331 ZPO - nach dem Stand der Rechtsprechung im Zeitpunkt der Beantragung des Vollstreckungsbescheides - zu einer Ablehnung des Klagebegehrens führen musste (BGH, Urteil vom 18. Januar 1990 - III ZR 26/89, WM 1990, 421; BGHZ 101, 380; Senatsurteil vom 23. April 1991 aaO).


b) Mit ihrem Vorbringen hat die Klägerin ihren Anspruch in ausreichender Weise sub-stantiiert. Sie hat behauptet, dass in dem mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten am 11. Juli 1978 geschlossenen Ratenkreditvertrag ein Vertragszins von 0,07% pro Tag vereinbart worden sei. Träfe dies zu, so würde allein der vereinbarte Ausgangszins - unbeschadet sonstiger der Klägerin auferlegter, den Effektivzins erhöhender Kosten (vgl. BGHZ 80, 153, 166 ff.; Senatsurteil vom 4. Dezember 1990 - XI ZR 340/89, WM 1991, 179, 181) - den im Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Schwerpunktzins von 0,31% pro Monat um mehr als das Sechsfache überschreiten, so dass an der Sittenwidrigkeit des Vertrages kein Zweifel bestehen kann. Es liegt auch auf der Hand, dass bei einem so außerordentlich groben Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung der Rechtsvorgängerin der Beklagten klar sein musste, dass eine Geltendmachung ihrer Ansprüche im Klageverfahren (zum damaligen Stand der Rechtsprechung vgl. die Nachweise in BGHZ 80, 153, 160) mangels Schlüssigkeit scheitern musste. Dagegen bringt die Beklagte auch nichts vor. Sie verteidigt sich lediglich damit, dass ein so exorbitant hoher Vertragszins nicht vereinbart worden sei.


c) Bei dieser Sachlage musste die Beklagte den Vortrag der Klägerin substantiiert bestreiten, wenn sie ihm entgegentreten wollte. Nach § 138 Abs. 2 und 3 ZPO hat sich jede Partei über die vom Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. Tatsachen die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, sofern nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht. Hieraus folgt, dass eine Partei, soll ihr Vortrag beachtlich sein, auf Behauptungen des Prozessgegners substantiiert, d.h. mit näheren positiven Angaben zu erwidern hat. Eine solche Pflicht besteht zwar nicht schlechthin. Sie ist aber jedenfalls dann zu bejahen, wenn der Gegner der darlegungs- und beweisbelasteten Partei alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zuzumuten ist, nähere Angaben zu machen (vgl. BGHZ 12, 49, 50; 86, 23, 30; 100, 190, 195/196 m. w. Nachw.). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Beklagten war es nicht nur zuzumuten, sich substantiiert zu erklären, sie war sogar - wie das Berufungsgericht zutreffend festge-stellt hat - nach § 810 BGB der Klägerin zur Auskunft über den Inhalt des Vertrages verpflichtet.


§ 810 BGB gewährt u. a. dann ein Einsichtsrecht - und im Prozess einen Anspruch auf Vorlegung der Urkunde (vgl. Steffen in BGB-RGRK 12. Aufl. § 811 Rdn. 2) -, wenn - wie hier - ein zwischen dem Antragsteller und einem anderen bestehendes Rechtsverhältnis beurkundet worden ist (vgl. BGHZ 55, 201, 203; 95, 285, 288). Das erkennt auch die Revision an. Sie beruft sich jedoch zu Unrecht darauf, dass das In-teresse der Klägerin nicht schutzwürdig sei, weil sie damit eine unzulässige Ausfor-schung der Beklagten betreiben wolle.


Es trifft allerdings zu, dass die Einsichtnahme nur von demjenigen verlangt werden kann, der unter Abwägung der beiderseitigen schutzwürdigen Belange ein rechtliches Interesse an einer Urkundeneinsicht hat und dass grundsätzlich derjenige sich nicht auf schutzwürdige Interesse berufen kann, der sich durch die Urkundeneinsicht erst Unterlagen für seine Rechtsverfolgung beschaffen will (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 1962 - VII ZR 252/60, WM 1962, 706, 707; Urteil vom 31. März 1971 - VIII ZR 198/69, WM 1971, 565, 567). Von einer derartigen Fallgestaltung kann hier jedoch keine Rede sein. Der Klägerin geht es nicht, wie beispielsweise in dem Urteil des Bundesge-richtshofs vom 31. März 1971, um die erstmalige Ermittlung eines Sachverhalts zur Prüfung und Durchsetzung möglicher Schadensersatzansprüche. Sie will lediglich, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, wieder in den Kenntnisstand versetzt werden, in dem sie sich als Kreditnehmerin nach Vertragsschluss im Einverständnis mit der Vertragspartnerin bereits einmal befunden hat. Darauf hat sie - wie das Beru-fungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat - einen Anspruch. Der Berechtigte, der wegen des Verlustes seines Vertragsexemplars über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im ungewissen ist, kann nach Treu und Glauben vom Verpflichteten Auskunft über den Vertragsinhalt und Einsicht in dessen Vertragsunterlagen verlan-gen, wenn dies dem Verpflichteten unschwer, d.h. ohne unbillig belastet zu sein, möglich ist. Dieses Recht beschränkt sich nicht auf den Fall, dass dem Berechtigten das Vertragsexemplar ohne sein Verschulden abhanden gekommen ist. Wenn sein Verlangen nicht aus besonderen Gründen mutwillig oder missbräuchlich erscheint, kommt es nicht entscheidend darauf an, wie und warum er in die Lage geraten ist, erneut um Auskunft bitten zu müssen (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 1988 - III ZR 28/87, NJW-RR 1988, 1072 zum Recht des Bankkunden auf Ergänzung seiner Unter-lagen). Dem Verlangen der Klägerin auf Vorlegung stehen schutzwürdige Belange der Beklagten nicht entgegen. Insbesondere vermag der Umstand, dass der Beklagten im Rechtsstreit bei Vorlage des Vertrages rechtliche Nachteile drohen, weil dadurch dessen Sittenwidrigkeit offenbart werden könnte, im Rahmen der vorzunehmenden Billigkeitsabwägung kein schutzwürdiges Interesse zu begründen, die Vorlegung der Vertragsurkunde zu verweigern, zumal darin ausnahmslos Angaben enthalten sind, über die sich die Kreditvertragsparteien geeinigt hatten und die Grundlage für die künftige Vertragsabwicklung sein sollten.


Die Beklagte hätte deshalb - wenn ihr Bestreiten des Klagevorbringens erheblich sein sollte - zumindest wahrheitsgemäß (§ 138 Abs. 1 ZPO) darlegen müssen, welcher andere als der von der Klägerin behauptete Vertragszins vereinbart worden ist. Da sie das nicht getan hat, muss die Klage wegen des als zugestanden geltenden Vor-bringens der Klägerin Erfolg haben.